Dass Lernerfolge überprüft und Noten gegeben werden ist normal. Solche Beurteilungen sind zwar nicht unumstritten und trivial, aber immerhin einigermassen anerkannt, wenn es um die Überprüfung des Wissens geht. Sobald aber Kompetenzen überprüft werden, ist das aber alles andere als klar.
Soft Skills beurteilen
Die Kontrolle und Beurteilung von Soft Skills ist heikel. Denn das Thema Soft Skills hat einen ethisch-moralischen Aspekt, der nicht aus den Augen gelassen werden sollte: Welche Ausprägung von welchen Soft Skills gefragt ist oder für richtig befunden wird, hängt vom Wertesystem der Umgebung ab. Und die Fremdeinschätzung ist nicht das Mass aller Dinge - nur die im Fokus stehenden Menschen selbst können beurteilen, ob die Fremdeinschätzung mit ihrer Selbstwahrnehmung übereinstimmt und - wenn sie das denn wollen - Auskunft darüber geben, weshalb das so ist.
In Seminarräumen wird häufig versucht, eine bestimmte Fähigkeit in einer absichtsvollen Art und Weise zu vermitteln. Dadurch wird zwar das Wissen über Soft Skills vermehrt, der Mensch selbst aber nicht verändert. Häufig kann das Wissen, wie man handeln sollte oder möchte, nicht im Alltag umgesetzt werden. Dies ist nur dann möglich, wenn freiwillig und aus eigenem Antrieb an der persönlichen Entwicklung gearbeitet wird und der Wunsch da ist, etwas zu verändern. Eine unverwechselbare Persönlichkeit entsteht nicht im Kurs, sondern im alltäglichen Handeln, Üben und Reifen.
In der Praxis wird bei der Kontrolle von Soft Skills deshalb oft bloss Wissen abgefragt (über Fragebögen zum Beispiel), was eher zur geheuchelten Anpassung als zur gelebten Realität führt. Soll das tatsächliche Können überprüft werden, muss das im Dialog und mit Respekt geschehen.
Am Anfang steht die gemeinsame Zielformulierung und das sorgfältige Einbeziehen des Funktions- bzw. des Lernfeldes. Es muss vor der Schulung transparent werden, ob der Lernerfolg dem Funktionsfeld oder der Persönlichkeitsentwicklung dienen soll. Eine Weiterbildungsvereinbarung mit dem Vorgesetzten (im betrieblichen Umfeld) oder mit der sich entwickelnden Person selbst schafft hier die Grundlage für die Überprüfung. Nach der Schulung folgt der rationalen Analyse (Lernerfolg, Unklarheiten, Lücken) die emotionale Analyse (Akzeptanz des Gelernten, Widerstände, Bereitschaft zur Umsetzung) sowohl in Bezug auf die sich entwickelnde Person als auch in Bezug auf das Feld, in dem das veränderte Verhalten gezeigt werden soll.
Handlungskompetenzen beurteilen
Gregor Turnherr schreibt in seinem Buch 'Handlungskompetenzen prüfen -Leistungsbewertung in der Berufsbildung' S. 9 im Jahr 2020 eindeutig:
"Das objektive und vollständige Erfassen und Beurteilen von Kompetenzen ist nicht möglich!"
Ausbildung hat sich vom Lernen im Sinne von Wissensaneignung hin zur Aneignung einer adäquaten Handlungsfähigkeit entwickelt. Handlungsfähigkeit aber ist Kompetenz, mit ihren drei Aspekten Wissen, Können und Haltung/Motivation - und entsprechend schwierig ist die Bewertung der Performanz (die konkret beobachtbare Ausführung einer Aufgabe in einer typischen Situation). Das sollte uns aber nicht daran hindern, so gut wie möglich zu prüfen - und es ist viel möglich.
Elemente einer fairen Kompetenzüberprüfung
Wer Kompetenzen (Handlungskompetenzen, Soft Skills) überprüft, hat es mit der Beobachtung und Beurteilung von komplexen Verhaltensweisen über längere Zeiträume zu tun. Die Prüfenden im Lernfeld (Lehrpersonen in der Schule oder Ausbildung) sind dafür sensibilisiert und ausgebildet. Wer aber als Vorgesetzte/r oder HR-SpezialistIn Mitarbeitende oder KandidatInnen für einen Job beurteilt, ist mehrheitlich überfordert.
Prozesse beobachten
Im Gegensatz zur Abfrage von statischem Wissen ist die Beurteilung von Kompetenzen nur über eine gewisse Beobachtungszeit möglich.
Um Entwicklungserfolge bei Soft Skills zu überprüfen, sollte der gesamte Prozess über eine längere Handlung beobachtet werden. Die meisten Soft Skills können nur in Assessments, Rollenspielen und realen Verhaltenssituationen beurteilt werden. Solche Prozesse zu beobachten schliesst das Erkennen von Prozessphasen ebenso mit ein wie das strukturierte Festhalten der wesentlichen Beobachtungen.
Entwicklungserfolg im Lernfeld beurteilen
Was wir in der Schule lernen, wird in der Schule überprüft. Da sprechen wir von Beurteilung im Lernfeld (die Schule, der Kurs, die arrangierte Lernsituation).
Die Überprüfung des Entwicklungserfolgs im Zusammenhang mit einer arrangierten Lernsituation erfolgt üblicherweise mit geplanten standardisierten Kompetenznachweisen, die es ermöglichen, sowohl das Wissen und die Fertigkeiten wie auch die Einstellung und Werthaltung im Zusammenhang einer Kompetenz zu beobachten. Solche Kompetenznachweise sind beispielsweise Spielarten von Projekten, schriftliche Fallbearbeitungen, Rollenspiele, Präsentationen oder Portfolios.
Entwicklungserfolg im Funktionsfeld beurteilen
Häufig lernen wir in der Schule für die Praxis am Arbeitsplatz oder im Alltag. Da sollte die neue Handlungskompetenz funktionieren - dieses realistische Umfeld wird auch als Funktionsfeld bezeichnet.
Bei Kindern werden Soft Skills überwiegend im Funktionsfeld (Familie, Schule) erworben, ohne arrangierte Lernfelder, die Beurteilung erfolgt über Lehrer/-innen, Erzieher/-innen und Fachpersonen. Bei Jugendlichen und Erwachsenen geht diese Beurteilung immer mehr in die Privatsphäre einerseits und die berufliche Qualifikation andererseits über. Die Beurteilung der persönlichen Entwicklungserfolge ist - gekoppelt an die Selbsteinschätzung - häufig getrübt durch den Ärger oder die Verletzung, die eine ungefilterte Rückmeldung der Bezugspersonen auslösen kann. Deshalb ist es wesentlich, sich gezielt Feedback zu erbitten und sich dieses Feedback zu Herzen zu nehmen.
Die Beurteilung der Entwicklungserfolge in der Berufspraxis erfolgt häufig über arrangierte Lernfelder oder konkrete Aufgaben. Entsprechend wird die Beurteilung entweder auf objektivierte Beobachtung gestützt oder aber als Zufriedenheit mit dem Ergebnis formuliert. Die meisten Beurteilungsgespräche stützen sich aber in der Praxis auf wenige subjektive Eindrücke, sie unterliegen nur zu oft Wahrnehmungsverzerrungen.
Wirksamkeit überprüfen
Sehr viele Soft Skill Seminare und berufliche Weiterbildungen werden hinsichtlich ihrer Wirksamkeit nicht überprüft. Was mit Blick auf die aufgewendeten Ressourcen eigentlich ein Muss wäre. Und gerade auch, weil Soft Skills Seminare von vielen "Gurus" sehr sehr teuer verkauft werden.
Da die Entwicklung von Soft Skills viel, sehr viel Zeit braucht, ist es mit der Frage am Abschluss "Habt ihr etwas gelernt?" nicht getan. Wir alle wissen, dass sich die gemachten Erkenntnisse und vielleicht in einem einmaligen Rollenspiel oder sogar nur in einer Diskussion thematisierten neuen Verhaltensweisen im Alltag sofort wieder verflüchtigen. Die Wirksamkeit einer Entwicklungsmassnahme kann deshalb erst über längere Zeiträume beurteilt werden. Deshalb sind längere Lehrgänge und über einen gewissen Zeitraum verteilte Bildungseinheiten wirksamer. Die Wirksamkeit wird überprüft, indem standardisierte Prüfungen und Beobachtungen mit der persönlichen Einschätzung und mit der Fremdbeurteilung (z.B. durch Vorgesetzte) verglichen werden (Assessments). Erst ein persönliches Gespräch unter allen Beteiligten kann dann zeigen, ob die Bildungsmassnahme wirksam war.
Persönlichen Lernerfolg beurteilen
Da die Entwicklung von Lebenskompetenz ein immerwährendes Thema für die Menschen ist, ist für Viele der persönliche Lernerfolg viel wichtiger als die externe Beurteilung.
Um den persönlichen Lernerfolg gebührend zu würdigen und zu beurteilen, sind regelmässige Aufzeichnungen über einen längeren Zeitraum hilfreich (Tagebücher, Journale, etc.). Diese Aufzeichnungen sollten sich auf die Aspekte Wissen und Können einer Kompetenz, aber auch die Haltung dazu und die eigenen Gefühle beziehen. Ausserdem werden mit Vorteil erreichte Teilschritte erkannt und gewürdigt. Eine solche Selbsteinschätzung macht unabhängiger vom Urteil anderer und führt dazu, dass man sich immer besser kennenlernt.
Reflexionsfragen
- Was kann ich?
- Was kann ich (noch) nicht?
- Wo bin ich stark?
- Was gelingt mir weniger gut?
- Was fällt mir schwer?
- Was ist gut gelaufen?
- Was war / ist ärgerlich?
- Was freut mich besonders?
- Worauf bin ich stolz?
- Was bedauere ich?
- Wovor habe ich Angst?
- Worauf lege ich besonders Wert?
- Was brauche ich an Unterstützung?
- Wer könnte mir weiterhelfen?
- Was ist mein nächster Schritt?
- Was kann ich als nächstes tun?
- Stimmt mein Ziel noch?
- Stimmt die Richtung noch?
- Mache ich das Wesentliche?
- Mache ich das Richtige?
- Habe ich an alles gedacht?
- Habe ich mein Ziel erreicht?
- Was würde mich jetzt weiterbringen?
Dokumentieren
Reflexionsergebnisse festzuhalten, treibt die Entwicklung voran. Möglichkeiten dazu sind:
- Lerntagebuch / Lernjournal
- Aktionsplan
- persönliches Tagebuch
- mindmap zur aktuellen Situation
- SEPO-Analyse Succès (Erfolge), Echecs (Misserfolge), Potentialités (Chancen), Obstacles (Hindernisse)
- SWOT-Analyse Strength(Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen), Threads (Risiken)
- Bild malen
- passende Symbole finden
- Analogien finden
- Parabel / Gleichnis / Geschichte / Märchen / Fabel erzählen
- Motto / Titel dazu formulieren
(mit)Teilen
Besonders wirksam sind Reflexionen, wenn sie mit anderen geteilt werden und die eigene Einschätzung (Selbstbild) mit derjenigen eines Andern (Fremdeinschätzung) verglichen wird oder wenn Assoziationen, Interpretationen, Reflexionen im Dialog ausgetauscht werden.
Offen für Neues?
Bei Veränderungen zeigt sich sehr gut, wie offen jemand für Neues ist. Die Illustration rechts zeigt die Vier Zimmer der Veränderung. Sie ist im Rahmen meiner Stellenbewerbungskurse entstanden. Der untere Teil zeigt die Energiekurve bei einer Kündigung des Arbeitgebers, sie gilt bei jeder schlagartig erforderlichen Veränderung.
Kleinkinder
Die meisten Säuglinge und Kleinkinder sind neugierig und gehen vorsichtig auf Unbekanntes zu. Wenn es ihnen zuviel wird, ziehen sie sich zurück oder schlafen ein. Es sollte berücksichtigt werden, dass zuviel Neues das Kind überfordert. Nicht alle Kinder mögen gleich viel Anregung.
Räumen Sie zuviele Spielsachen vorübergehend weg, lassen Sie das Kind auch Langeweile erleben, planen Sie nicht zu viele Unternehmungen. Geben Sie dem Kind viel Zeit für die Beschäftigung mit Haushalt-Gegenständen und Spielsachen, mit denen man Vielerlei machen kann. Schützen Sie das Kind vor zudringlichen Personen, das Kind soll selber bestimmen, ob es Kontakt will oder nicht.
Schulkinder
Schulkinder werden primär in der Schule und bei Freizeit-Unternehmungen der Familie mit Neuem konfrontiert. Achten Sie darauf, dass genügend Zeit für unverplantes Spiel und eigene Entdeckungen bleibt. Betonen Sie, wie toll es ist, in der Schule Neues zu lernen. Begleiten Sie das Kind bei seiner Entdeckung, dass andere Familien anders funktionieren und Anderes unternehmen. Je unterschiedlicher die Interessen und Hobbies der Bezugspersonen eines Kindes sind, desto eher wird das Kind auch Interesse für unterschiedlichste Thematiken entwickeln.
Kinder sind sehr unterschiedlich - während die einen äusserst begeisterungsfähig und allem Neuen gegenüber aufgeschlossen sind, hängen die andern an Gewohnheiten und wollen unterhalten werden. Forcieren Sie nichts, nehmen Sie auf, was Kinder von sich aus thematisieren, und machen Sie Angebote. Achten Sie darauf, wie Sie mit Fehlern umgehen: Mit einer Abwertung und Bestrafung von Fehlern kann die Offenheit in Angst und Ablehnung umschlagen. Wer mit einem neuen Thema Erfolgserlebnisse hat, wird sich weiter damit beschäftigen.
Jugendliche
Ab zwölf Jahren steigt die Offenheit für Erfahrungen deutlich an. Jugendliche sind grundsätzlich sehr offen gegenüber Neuem und insbesondere auch für die Auseinandersetzung mit sich selbst. Die deutliche Ablehnung von Normen und Regeln des Zusammenlebens dagegen ist Ausdruck der Abgrenzung gegenüber der Erwachsenenwelt und des gesteigerten Interesses am Sinn ebensolcher Normen und Regeln.
Jugendliche brauchen deshalb viele Diskussionen, Gespräche und auch Auseinandersetzungen, um zu verstehen, wie das Leben in einer Gemeinschaft funktioniert. Lassen Sie es zu, dass Jugendliche Sie immer wieder hinterfragen, weshalb Sie etwas so oder anders beurteilen oder wozu eine bestimmte Handlung gut sein soll. Wer Jugendliche zu diskussionslosem Gehorsam zwingt, wird blinde Autoritätsgläubigkeit oder automatischen Widerstand, nicht aber kritische Neugier und Offenheit ernten.
Erwachsene
Ab dem zwanzigsten Lebensjahr nimmt das Bedürfnis nach Aufregung und starken Reizen deutlich ab, während die emotionale Offenheit stabil bleibt. Erwachsene lernen in der Regel nichts grundlegend Neues mehr, sondern nur Dinge, die mit ihren Erfahrungen und ihrem Vorwissen vereinbar sind.
Menschen, die sich in einer schweren Krise befinden, können nicht offen für die Zukunft sein. Sie brauchen viel Zeit, sich zu erholen und Unterstützung in der Zuversicht, dass mit der Zeit die Dinge wieder besser werden.
In akuten Phasen von geforderter Veränderung reagieren viele Menschen mit Widerstand - offen oder verdeckt. Dies ist völlig normal - jede Veränderung führt von der Ablehnung/Verleugnung über Verwirrung/Hinterfragung zur Erneuerung und danach zu einer neuen Form von Zufriedenheit. (Dieses Modell der vier Zimmer der Veränderung stammt übrigens von Tschönhens und Bissegger, entnommen dem Buch 'Change-Tools' von Armin Rohm)
Reflexion ist das Innehalten, der Perspektivenwechsel und die kritische Betrachtung der eigenen Werthaltungen, Beiträge und Möglichkeiten.
Perspektivenwechsel : Das Geschehen aus Abstand betrachten
Um sich selbst reflektieren zu können, sollte eine Person über die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel verfügen, das heisst, sie sollte sich selbst und das Geschehen rund um sich selbst mit Abstand und von aussen betrachten können.
Die eigene Werthaltung erkennen
Seine eigene Werthaltung in Bezug auf die Entwicklung zu erkennen, setzt voraus, dass die eigenen Annahmen im Zusammenhang mit Lernen und Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lernstrategien und Lerngewohnheiten bekannt sind.
Sich selbst realistisch einschätzen
Weder Über- noch Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten sind hilfreich bei der Entwicklung. Ohne Spiegelung und ehrliches Feedback von aussen kann die Selbsteinschätzung nicht gelingen.
Kritikfähigkeit
Kritikfähigkeit bedeutet, Kritik annehmen zu können, dabei die eigenen Anteile an Erfolg und Misserfolg selbstkritisch zu analysieren und aus der Kritik zu lernen.
Verantwortung für die eigene Entwicklung übernehmen
Die Verantwortung für die eigene Weiterentwicklung in allen Kompetenzbereichen (emotionale Kompetenz, Gruppen- und Beziehungskompetenz, Auftritts- und Kommunikationskompetenz, Fachkompetenz) zu übernehmen, bedeutet, den eigenen Beitrag zu der eigenen Persönlichkeit zu erkennen. Dies erleichtert es, sich von Therapeuten, Beratern und Lehrpersonen unabhängiger zu machen und deren Feedback anzunehmen.